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SdT – zurück in den Niederungen

EINS

Eine Freundin erzählte in einem Gespräch von einer Debatte:

Eine amerikanische Künstlerin nicht afrikanischer Abstammung habe ein Bild verwendet, dass in den Medien erschienen war und die Erschießung eines Amerikaners afrikanischer Abstammung durch einen Polizisten zeige. Diese Arbeit – die mir nicht bekannt ist – sei stark angegriffen worden von der afroamerikanischen Community.

 

Sie eigne sich das Leid einer Gruppe an, die nicht sie ihre sei und die von jener Gruppe, zu der sie qua Geburt gehöre über lange Zeit gedemütigt, ausgenutzt, misshandelt – und in diesem Falle – getötet worden sei. Sie habe nicht das Recht, dieses Leid auszunutzen, ja, es sei unethisch, sich dieses Leids zum eigenen Vorteil, ja, Ruhm bemächtigen zu wollen.

 

Nun kann man diese Vorwürfe als berechtigt ansehen und sich wünschen, die Arbeit wäre so nicht entstanden. Könnte sich weigern, sie anzusehen, wahrzunehmen, ein Ausstellungsverbot erwirken, die Künstlerin für diese Arbeit kritisieren …

 

Möglich ist aber auch, anzunehmen, dass die Diskussion über diese Arbeit wiederum ein allgemeines gesellschaftliches Verfahren thematisiert, das problematisch ist (Appropriation nicht genuiner Werte, Zuschreibungen aufgrund von Ethnie und Status, positive wie negative Diskriminierung u.a.m.).

Dann hätte die Arbeit einen wichtigen Anstoß geliefert und müsste gezeigt werden, bis der Sprengstoff, die Konnotationen und die symbolische Aufladung, mit denen sie affiziert ist, aufgelöst sind, unsichtbar werden, verschwinden.

 

Denkbar auch, dass die Künstlerin mit der Arbeit eine Aussage treffen wollte zum Verhalten "ihrer Ethnie" und das Opfer dazu nicht ausgeblendet werden konnte. Dass diese Arbeit ein Absetzen darstellt, eine Verweigerung, eine Anklage mit den Mitteln, die einer Künstlerin eignen. Das sollte sie dürfen dürfen. 

 

Enge Räume überall und Stolperfallen, wie Gerechtigkeit zu finden sei in einer Gesellschaft, in der wirkmächtige Größen keinen Gedanken darauf verschwenden.

 

ZWEI 

Eine Fortsetzung fand diese Diskussion gestern, als die Sprache auf Astrid Lindgren kam und die Verwendung des Terms "Neger" (als Übersetzung wovon?) in einer Geschichte. Zwischen "Whitewashing" – also das Tilgen jeglichen angreifbaren Diskriminierungsversuchs – und dem Gedanken, dass ein künstlerisches Werk in sich als abgeschlossen zu gelten habe und nicht nach den jeweiligen gesellschaftlichen Vorgaben beliebig umgearbeitet werden könne, ließ sich keine befriedigende Lösung finden, außer eben genau dieser einen: das Thematisieren der Bruchstellen im System, der Widerstände, der Fallen.

 

Das ist sicherlich unbefriedigend, wenn morgen schon alles anders sein soll, aber es erscheint mir der einzige Weg, der ein Problem nicht nur verlagert und wie die Psyche Unaushaltbares verdrängt, bis es an andere Stelle erneut virulent wird, sondern nachhaltig Denken und Fühlen beeinflussen kann. Man nennt es lernen, glaube ich. Wir wünschen uns, dass es mit Freude verbunden sei, aber wir wissen, dass es Arbeit bedeuten kann, und der Moment, in dem diese Arbeit sich in genuines Freuen verwandelt, lange auf sich warten lassen kann. Diese Zeitspanne aushalten zu können, ist, erwachsen zu werden.

05-04-2018

im engen eines schmalen raumes 

raunen rauten und ranken von frühem abschied und schnellem gang.

ich nehme platz auf einer bank ohne lehne, ohne

bein und sitz. mich kitzelt im nacken dein gedanke,

er klingt wie aus silberfäden geflochten und

bricht das verzogene schweigen der wände,

ihr sanftes wesen wie ein kolibri, wie ein eisvogel, wie

 

ein springendes tüchlein im wind

 


04.04.2018

Er spürte das Wasser nach der Hitze des Tages kalt auf seiner Haut aufschlagen, ein Schauer für einen Moment, für den Augenblick, bevor die Bewegungen seiner Muskeln seinen Kreislauf anfeuerten, ihre Kraft sich in Wärme wandelte und das Wasser in einen Freund. 

 

Er hatte einige Kilometer zu schwimmen, in dieser Nacht eine leichte Aufgabe, denn die See war ruhig, kaum Wellenkräuseln, und in seinen Ohren nur das Wassergurgeln seiner Armzüge. Meter um Meter näherte er sich der Linie, die sich vor ihm ausbreitete, sich aus Hunderten einzelner Lichter zusammensetze: still und verlässlich oberhalb des meeresspiegels, zitternd und vibrierend unterhalb. 

 

Er würde versuchen, eine Stelle zu erreichen, die weniger belebt schien, würde sich langsam, schleichend an Land bewegen, die Tüte mit Kleidung und den leichten Stoffschuhen vom Rücken nehmen, hoffen, dass alles trocken geblieben war in dem Kokon aus Klebeband und Folie – er hatte so lange probiert, bis er mit dem Ergebnis zufrieden war – leichte Kleidung, klein zusammenzulegen, unauffällig, dunkel. 

 

 

Er spürte an der Temperatur des Wassers, an der Strömung unterhalb, dass er sich dem Ufer näherte. Er schwamm behutsamer nun, vermied Spritzer, vermied es, das Wasser aufzuwühlen und schlängelte vorsichtig zwischen der zunehmenden Zahl von Booten und Kuttern, die vor der Küste ankerten. Nicht zu früh auffallen, möglichst überhaupt nicht, und wenn, dann dem Ufer so nahe, dass er für einen abendlichen Schwimmer gehalten werden konnte, ein Nachtschwärmer, der eine Abkühlung suchte, bevor er nachhause gehen würde, ein Zuhause, dass er sich erst noch würde erfinden müssen.

 


 

 

 

 

 

 

 

28.03.2018

 

als sie erkennt, welche schwierigkeiten ihrem plan im wege stehen, will sie es kaum glauben. ihr verstand, der so zuverlässig jede mauer errichten konnte, hinter der sie schutz finden würde und die sie umgibt in zuverlässiger abwehr, wurde ihr amputiert, wurde zu einer waffe, die kein ziel finden konnte, denn die sprache, in die sie ihre gedanken fasste und mit der sie die grenze ziehen konnte zwischen dem aussen und dem selbst, diese sprache teilte keiner der anwesenden und im stumm-sein lag keine zukunft, keine, die sie ihr gestatten würden.

 

30.03.2018

 

"… heute eine sehr schöne frau gesehen. vermutlich japanerin. sanftes lächeln und von schwarzen wimpern von beträchtlicher länge umsäumte augen. hinreißendes lächeln, aber mein fixpunkt blieben ihre augen. nicht, dass ich hätte viel sehen können, sie saß hinter mir, seitlich am rande ihrer gruppe. lächelnd.

… die anderen bestellten, üppig, und sprachen laut und durcheinander während sie aßen. sie saß lächelnd, folgte dem einen oder dem anderen mit ihrem blick.

ich wartete darauf, ob sie mit ihren augen andere ziele suchen, ihren blick durch den raum schweifen lassen und meinem blick begegnen würde, doch sie saß unbewegt und konzentriert alleine auf ihre begleiter.

schade.

und doch..."


16.03.2018

niemals gegen die lauten. 

 

die fliehkraft wirft eine berührung voraus, die 

in deinen krustigen malen kristalle bilden wird 

und mit tippelschritten breitest du laken über wiesen

wirfst haut und haar hinter den fliehenden reiter

erinnerung und birgst in deinem schoß was

 

morgen blinkt und reift ganz ohne wort

 


SdT – April, April, der macht…

… was er will.

Eine schöne Freiheit für diesen noch jungen Monat. Eine Freiheit, die ich mir auch oft wünsche, und dieser Wunsch wird ziemlich schnell von den realen Bedingungen eingefangen: Handlungen, die mir nicht freiwillig erscheinen, weil sie Notwendigkeitsparametern entsprechen – die ich festlege. Diese Parameter lassen sich verschieben, verändern, ignorieren – doch das ist meist mit Konsequenzen verbunden, die ich dann auszuhalten, zu tragen habe. Mein Wille bildet sich also einerseits unter Abwägung aller Umstände und mein rationales Ich setzt dieses dann nolens volens um. Und andererseits völlig losgelöst davon als Begehrlichkeit meines Es. Obwohl beide Haltungen die meinen sind, ist mir die letztere die nähere, und mein Bedauern verweist auf die Unfreiwilligkeit, die mancher Entscheidung zugrunde liegt eher als auf deren negative Folgen. Die Freiheit, mich entscheiden zu können, erlebe ich nicht als Möglichkeit, sondern vielmehr als "kleineres Übel" – und obwohl ich es so sehen kann, bleibt mein Gefühl davon unberührt…

… und nun zu einigen neuen Textfragmenten und Anfängen und Zwischenbemerkungen:

 

Der besseren Lesbarkeit halber die unteren Beiträge in der richtigen Reihenfolge, aber eben gegenläufig zum Datum geschrieben :)

13.03.2018

standbild, replay

 

der knappe raum auf den gipfeln bringt

meinen kobold ins taumeln. er fällt in die 

niederungen meiner erinnerung zurück in 

eine ebene ohne aufstieg und rast. glocken

blumen hell der widerschein fremder

inaugenscheinnahme, gegen das zuvor

stehen nicht kraut, nicht rüben und für hiernach 

schweigt mein verwunschener see still über mir.

 

03.03.2018

Dieser Tag ist jung, so jung, dass der Himmel noch Stunden schwarz gegen die Straßenlaternen stehen wird, vor denen langsam die ersten Schneeflocken dieses Winters tanzen. Sie sammeln sich zu einer weichen Schicht am durchgefrorenen Boden und reflektieren, was von Beleuchtung und sich vorsichtig einen Weg bahnenden Wagen an Licht ausgeschickt wird.  

Gegen Morgen schiebt ein Räumfahrzeug eine Spur in die kalte Decke, die sich gleichgültig über alles legt, die Wege, die geparkten Fahrzeuge, die Bäume und Hecken, die Zäune und die Gestalt auf jener Bank, die seit kurzem am Rand zum Bürgersteig aufgestellt, auf Besucher wartet – tagsüber kein einladender Platz, verkehrsumtost und ohne tröstende Aussicht, und an der ein Schild darauf verweist, dass nachts eine Beregnungsanlage den Sitz und das kärgliche Grün dahinter besprenkeln wird. 

Neben der Bank steht ein schmaler Koffer, seine zwei Schlösser am oberen Rand leuchten auf im Scheinwerferlicht vorbeifahrender Wagen. Die Gestalt, ein Mann, trägt einen dunklen Mantel aus dünnem Stoff, der wenig Schutz gegen die niedrigen Temperaturen bieten kann, doch er regt sich nicht. Den Kopf gegen die Brust gedrückt, sitzt er zusammengesunken und reglos, als die ersten Pendler aus dem Umland eintreffen, die ihr Weg von der U-Bahn-Haltestelle zur Arbeitsstätte an den Versunkenen vorbeiführt, vom steten Flockenfall fast gänzlich eingehüllt. 

Einige Schulkinder wundern sich, wie der Mann sich so ohne weiteres mit Schneebällen bewerfen lässt und da es ihnen ungewöhnlich erscheint, nicht angeschrien und gescholten zu werden, flitzen sie um die nächste Ecke, froh, davongekommen zu sein, und vergessen das Ereignis im Laufe ihres Schultags. 

 

Als sie nachmittags auf dem Weg nachhause vorsichtig zur Bank schauen, ist sie leer. Ein Student, der im Winter für ein Schneeräumungsunternehmen arbeitet, hatte die Gestalt auf der Bank angesprochen, schließlich einen Rettungsdienst gerufen, der 20 Minuten später den Tod feststellte und den Mann – der Koffer stand nun nicht mehr neben ihm – zur Feststellung von Personalien und Todesursache in die Räume der Gerichtsmedizin bringen ließ. Es wird noch einige Zeit brauchen, bis der Schneefall die nun freie Stelle auf dem angegrautem Holz bedecken und jede Spur ins Weiße löschen wird.

 

02.03.2018

Sie weiß, es ist zu viel. Sie spürt es von Tag zu Tag deutlicher, die Fehler häufen sich. Unachtsamkeiten, kleine Ungeschicke. "Fokussiere dich auf eine Sache. Mache einen Schritt nach dem nächsten, einfach eines nach dem anderen. Frage nicht nach dem Ende" Doch sie will sich nicht mehr bewegen müssen, möchte ganz still sitzen und nichts soll geschehen, keine Erwartung, keine Aufgabe. Will auftanken, Kräfte sammeln, gesund werden, sich gesund fühlen. Und frei. "In diesem Leben nicht mehr", denkt sie und wischt sanft mit dem feuchten Tuch über den Mund der alten Frau, die längst vergessen hat, wer ihr diese Aufmerksamkeit schenkt.

 


26.02.2018

Früher hatte er entnervt im Auto den Radiosender gewechselt, wenn dieser einen Musiktitel mit Texten in seiner Muttersprache brachte und einen Sender gesucht, der internationale, meist englischsprachige Titel spielte. Die englische Sprache war ihm, anders als Französisch oder Italienisch, nie nahe gekommen. Stets fühlte er sich unwohl, wenn die Umstände ihn zwangen, seine lückenhaften Kenntnisse in stockende Worte zu fassen. Es gelang ihm über viele Berufsjahre, die Notwendigkeit einer Anwendung zu vermeiden, bis ihn ein Auftrag für einige Monate nach Australien brachte. 

 

27.02.2018

Notgedrungen öffnete er sein Ohr und später auch seinen Geist für diese ihm einst so störrisch und unpoetische erschienene Sprache – nicht unbedingt dem australischen Alltagsdialekt, der blieb ihm bis zum Ende seines Aufenthaltes meist unverständlich und er selbst kam über einige eingefügte Vokale in seinen Adaptionsversuchen nie hinaus, aber das britische Englisch beherrschte er bald. 

 

28.02.2018

Nun wieder in seinem Mutterland und ohne Notwendigkeit, die spät erworbenen Fertigkeiten anzuwenden, blieb ihm doch eines, von dem er nicht wusste, ob er es als Fluch oder Segen einschätzen solle: Einst hatte er sich jenseits des Titels oder des Refrains die Texte englischsprachiger Musiktitel wie eine Lautmalerei gemerkt – weitgehend als Silbenfolge und ohne den Sinn wahrzunehmen – nun konnte er dieses Zustand nicht mehr erreichen: Sein Gehirn transferierte Sinn wie Unsinn, Banales wie gelungen Poetisches gleichermaßen in sein Verstehen. 

 

01.03.2018

Und obwohl er mitunter die Qualität einzelner Texte überraschend hoch fand, so, dass er aufmerkte ob der geschickten Umschreibungen, blieb doch das meiste klischeehafte Wiederholung standardisierter Phrasen. In diesem Punkt wünschte er sich seine frühere Ignoranz mit einer Heftigkeit zurück, die ihn selbst überraschte. Als sei ihm ein märchenhaftes Land genommen und durch eine alltägliche Umgebung ersetzt worden – weniger Glanz und Abenteuer, weniger Geheimnis und Verlockung und dafür ein mehr an Banalität und Wiederholung: Er wünschte sich sein Paradies zurück.

 


SdT – Zeit, die Regeln etwas zu lockern ;)

Auch in Südfrankreich kann es schneien....

 

Die Vorgaben für den Satz des Tages waren ohnehin nur locker gefasst, sie sollten nicht mehr als einen Rahmen bieten für eine Konstante im Schreiben… dieses Ziel wurde locker erreicht und die Benefits bleiben. Die Auszeiten, Umwege, Umdeutungen und das Nutzen eines Interpretationsspielraum zeigen, dass ein Rahmen flexibel sein darf, ja muss, wenn er auch dann Halt geben soll, wenn er in Frage gestellt wird. Letztendlich ist es eine gedankliche Setzung, die mit jedem Moment in der Zeit einen neuen Kontext und damit eine neue Interpretationsebene erhält. Es geht weiter und es entsteht neu, es bleiben Lücken und der Leser_in darf auch diese bemerken, füllen, ignorieren, begrüßen oder bedauern. 

 

25.02.2018

 Mithalten. Immer vorne dran. Gut informiert sein, sich auskennen, überall.

Er ist es so leid, stets aufmerksam sein zu müssen und auf der Hut vor denjenigen, die sich anschickten, seinen Platz einzunehmen, an ihm vorbeizuziehen: langjährige Weggefährten, Konkurrenten, neue Gesichter, junge.

Pakte, geschlossen, um nicht aussortiert zu werden, Allianzen, eingegangen, um andere aus dem Weg zu räumen – stets stärker sein, cleverer, den längeren Atem haben. Der ihm schon längst auszugehen droht, nicht erst abends, zuhause und müde, sondern auch bereits mitten am Tag, in den er nur schwer findet und während dessen Verlauf seine Gedanken sich von den Notwendigkeiten befreien und das Weite suchen, nur schwer wieder einzufangen und einzig, weil ihn die Alternative ängstigt, in einem Maße, dass sein Herz ins Stolpern gerät, die Knie zittern wie die Hände und er nicht länger sagen kann, was er stärker fürchten müsse – dass alles gleich weiterliefe oder dass es kein weiter so mehr geben könne.

 


24.02.2018

In mir ist eine umfassende Lustlosigkeit, ein mürrisches Ich regiert in meinen Morgen, Mittag und Abend und ich frage mich, warum ein Tag, der sich in nichts wesentlich von einem anderen unterscheidet, mir als solch eine Zumutung erscheinen kann, dass ich sein Enden herbeisehne, und das, obwohl nichts dafür spricht, dass der darauf folgende Tag besser oder wenigstens anders sei, und so verbringe ich meine Lebenszeit im Warten auf Besseres und am Ende wird es eben darum ein sinnloses Sein gewesen sein. 

Doch vielleicht ist morgen ja wirklich etwas anders.

 


22.02.2018

Was sie sah, als sie um die Ecke bog, lies sie in ihrem gleichförmigen Schritt innehalten. Eine sich bis zum sichtbaren Ende des Kais erstreckende Menschenmenge schob sich langsam ihr entgegen: Paare in mittlerem Alter, Jugendliche in Gruppen, Mütter mit Kinderwagen, Kleinkinder auf Rollern, Ältere eingehakt, stapften sie, die Gesichter nach Monaten trüben Winterhimmels in die ersten Sonnenstrahlen gestreckt, auf sie zu, um kurz vor ihr in einen breiten Boulevard einzubiegen, der zu den Attraktionen der Innenstadt führte. In dunkle Winterkleidung gehüllt und mit spiegelnden Gläsern ihrer Sonnenbrillen bewehrt, reihten sie sich in den Eingängen der Cafés auf, die die Promenade säumten, oder saßen auf Stühlen, Bänken oder Kaimauern wie Asseln unter einem Herbstblatt. Dieser Sonntag war kein guter Tag, am Flussufer entlang joggen zu wollen und sie wusste nicht, was sie mehr enttäuschte: Die so offensichtliche Ausrechenbarkeit der Stadtmenschen oder ihre eigene Naivität, dass dieser helle Tag nur für sie eine Einladung sein könnte, sich nach draußen zu begeben.

 


16.02.2018

Sie lebte in ihrer Zweizimmerwohnung seit der Besitzer die gröbsten Kriegsschäden an den Wänden ausgebessert, die verbrannten Fensterflügel aus Eiche durch einfach verglaste neue aus leichter Fichte ersetzt, einen Herd und einen Kohleofen in Küche und Wohnraum gestellt und die zum Heizen im ersten Nachkriegswinter verwendeten alten Holzstufen im schmalen Treppenhaus durch Bretter ersetzt hatte, die sich bald schon unter dem Gewicht der Tritte bogen. Hier hatte sie auf ihren Mann gewartet, zunächst noch mit Hoffnung, später, als Gustav sich als freundlicher Begleiter anbot, noch pro forma, hatte ihre Tochter bei ihrem Kampf um Leben und Gesundheit begleitet, unfähig, das kleine Wesen vor Hunger, Kälte, Masern, Röteln, Typhus und schließlich vor der Lungenentzündung schützen zu können, jeder Monat, jedes Jahr dem Leben abgerungen und dann doch verloren gegeben, hier hatte sie Gustavs Abschied mit ihren Freundinnen betrauert und ebenso das Wachstum der Stadt um sie herum – es brachte einen Wohlstand, der sie nun um ihr Zuhause bringen würde, Stück für Stück fielen die alten Bauten aus der Jahrhundertwende in die Hände von Erben und Baugesellschaften, in die von Handwerkern und Neubewohnern, so viel teuer nun, dass sie sich kaum die Küche hätte leisten können. Sie richtet ihren Blick auf das eine verbliebene Haus auf der anderen Straßenseite, das unrenoviert und mit allen Zeichen seines bald 300 Jahre alten Lebens von einer Gruppe Studenten bewohnt wurde, sah eine der jungen Frauen aus dem zweiten Stock, wie sie sich auf das Fensterbrett setzte, den Rücken gegen den weinrot gestrichenen Rahmen lehnte und ihr Gesicht, die Augen geschlossen, gegen die Sonne richtete. Über die Straßenschlucht wehte Musik, und Gelächter klang aus dem Hintergrund, umwehte die wenigen Kartons, die morgen mit ihr diese Wohnung verlassen würden, die wenigen Möbel, die Platz finden würden, dort, am Stadtrand und weit von den ihr verbliebenen Freundinnen entfernt, und mitnehmen und bewahren würde sie dieses Bild der jungen Frau vor ihren Augen, deren Genuss vollkommen schien und deren Zukunft, aller Voraussicht nach, deutlich länger bemessen sein würde als die ihre. Sie hätte gerne mit ihr getauscht und sei es nur, um noch einmal sich vor dieser Zukunft fürchten zu dürfen, ein Zeichen von Leben, ein Zeichen, dass das Morgen Bedeutung haben wird.

 


14.02.2018

Ihre Hände greifen nach dem Visier, richten den Sitz, nur noch wenige Sekunden und ihre Miene zeigt die Anspannung, die Aufregung und die Angst, es könne misslingen, was so gut begonnen hatte, die Furcht, mit einem Fehler alles zu ruinieren, so nah vor dem Ziel, so kurz vor dem Erfolg, sich selbst ein Bein zu stellen und alles wäre dahin, ihre Mühen vergebens, die Zumutungen an ihren Körper, die Einschränkungen in ihrem Leben, alles aufgehoben in diesem einen Moment, in diesem leichten Beben der Lippen, dem kurzen Zucken eines Augenlids und dem nach innen gekehrten Blick.

 


13.02.2018

Sich im Kreise bewegend, erscheinen ihr die regelmäßig aufscheinenden Stellen von Reibung und Konflikt in ihrem Sein ebenso zugleich Trost und Halt, wie sie sie als Marker von Niederlage und Unfähigkeit liest, so sehr, dass sie alles belässt, ohne Änderung, ohne Ende.

 


SdT im Januar 2 + Februar 1

Nicht jeder Tag bringt einen Satz hervor, den ich hier veröffentlichen mag. Manche Sätze wandern in (Kurz-)Prosa, andere sind Teile eines Gedichtes und manche Tage bleiben stumm…

 


12.02.2018

 

Er schleppt sich, mit zittrigen Knien und geschüttelt von einem bellenden Keuchen, von seinem Bett, seit Tagen in kalter Feuchte ein unkomfortabler und trostloser Ort, in das Badezimmer, die Füße schleifen bei jedem Schritt über den Boden und er stützt sich an den Wänden, weiß, dass er den Anblick seiner fahlen Haut, seiner müden, versunkenen Augen, seines unrasierten Kinnes nicht ertragen würde und meidet den Spiegel, als er nach der letzten ihm verbliebenen Medikamentenschachtel greift, einst von einem jungen, leichtgläubigen Arzt ausgehändigt, die Haltbarkeitsgrenze vor Jahren überschritten, doch mit einem Inhalt, der ihn zugleich in ein erträglicheres Sein wie in den Abgrund führen wird.

 


11.02.2018

Sie zählte die Stunden und Stundenfragmente, die sie auf Küchen-, Haushalts- und Reparaturarbeiten verwendet hatte, um zu beseitigen, was er hinzugefügt hatte, und kam zu dem Schluss, dass sie ihm keine Stunde, keine Minute, keine Sekunde ihres Seins mehr schulde, keinen Raum und keinen Gedanken und griff zum Telefon, orderte den Schlüsseldienst, der versprach, binnen zwei Stunden seien die Schlösser getauscht.

 


06.02.2018

ich notiere einige wenige sätze, ahne, wohin das schreiben gleiten könnte und stehe auf, flüchte, in reales, in dringlicheres, in handfestes, in etwas, das mich nicht zu überfordern droht, gleichzeitig erleichtert wie ernüchtert über die eigene disziplinlosikeit, die feigheit vor dem wort, der entscheidung. als ob ein bild sich zeigen könnte, das zu viel ähnlichkeit mit mir besitzt und daher nie überzeugen kann, bezaubern, mitreißen.

 

das ich ein nichts.

 


01.02.2018

Ermüdende Begrenzung – der Anfang leicht, flirrend, mit flotter Hand und gelungen, aber nicht fertig, nicht ausgelotet, nicht am Ziel, der Weg dahin im Ungefähren, im Dunkeln, und alles Vorantasten, alle Weiterarbeit kann unwiederbringlich alles verderben, alles Gelungene überdecken, auslöschen und dann steht man da mit seinem dummen Gesicht und hilflos, wütend gegen sich selbst, es nicht geschafft zu haben, nicht gut genug gewesen zu sein, ach der Anfang, ohne Kontrolle oder Zensur, aus einem Etwas heraus, über dessen Form und Inhalt man nicht verfügt, es verfügt über das Ich, es fliegt zu, nistet sich ein, flatterhaft, schreckhaft, aus der Luft gegriffen und in Zeichen gebannt, aber eben nur Teilstück, mehr Ahnung als Bild und danach, in jedem Fortgang droht Untergang, droht Verderben, droht Versagen, wenn der Verstand regieren will, formen, wie langweilig, wie erwartbar, wie uninspiriert, aber wo ist sie zu suchen, wo zu finden, die schmale Spur des Schillernden, dieses überzeugenden unreflektierten Konvoluts, dieser scheuen Eingebung, der wundersamen Verwandlung, wie kann man diesem Pfad folgen ohne sich zu verirren, den Faden zu lösen und zu verharren in dem, was immer schon war, bleiern und sinnlos.

 


31.01.2018

sie stieß eher zufällig auf ihn, ein ergebnis einer internet-recherche, ein datum, aus der vergangenheit, nicht mehr präsent, und dann sein name, seine website, seine vita – auch einer, der ziele erreicht hatte, ohne durch viel talent oder inspiration aufzufallen, war er durchgeschlüpft, war teil dieses systems geworden, hatte sich als tauglich erwiesen, hatte sich dort eingenistet, wo ihr platz hätte sein sollen, wieder einer mehr, und die entdeckung paarte verachtung mit kränkung, einem bekannten gefühl, nicht abzuschütteln und bitter.

 


27.01.2018

Der Wanderweg verliert sich zu einem schmalen Pfad, braune Erde zwischen Grasbüscheln und Laub, noch vom vergangenen Herbst, bis auch dieses schmale Band nicht mehr als eine Andeutung ist, eine Spur dunkler, eine Spur flacher als die Umgebung und schließlich, nach einigen Windungen um Felsnasen und niedrige, buschig wachsende Bäume, endet auch diese letzte Ahnung und doch hält er nicht inne, stapft weiter, als sei es nichts, durch dorniges Gestrüpp, über rutschige Wurzeln, unbeirrt zur Schneekante hin, dorthin, wo auch sommers kein Sonnenstrahl sich hin verirrt und keiner der wenigen Touristen, ein Ziel kennt er nicht, nur dieses Vorwärtsgehen, einen Fuß vor den anderen, bis er umfangen ist von knirschendem Eis, scharfen Kristallen und die Dunkelheit ihn einholt und umschließt.

 


26.01.2018

Ob dies alles sei, fragst du, und ich fühle deine Beklommenheit, die ist wie die meine, nur aus völlig anderem Grund, und ich antworte, ja, ich denke schon, und fasse dabei nach der Tischkante, berühre das Display meines Smartphones und ein Bild leuchtet mir entgegen, zwei Augenpaare, eines in dunklem braun, eines in hellem Grau, und ich sehe, dass auch dein Blick ihr lächeln erfasst, ja, wiederhole ich, die Stimme blass, was uns betrifft schon – aber ich hoffe, dass wir es ihnen gemeinsam erklären können.

 




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