… was er will.
Eine schöne Freiheit für diesen noch jungen Monat. Eine Freiheit, die ich mir auch oft wünsche, und dieser Wunsch wird ziemlich schnell von den realen Bedingungen eingefangen: Handlungen, die mir nicht freiwillig erscheinen, weil sie Notwendigkeitsparametern entsprechen – die ich festlege. Diese Parameter lassen sich verschieben, verändern, ignorieren – doch das ist meist mit Konsequenzen verbunden, die ich dann auszuhalten, zu tragen habe. Mein Wille bildet sich also einerseits unter Abwägung aller Umstände und mein rationales Ich setzt dieses dann nolens volens um. Und andererseits völlig losgelöst davon als Begehrlichkeit meines Es. Obwohl beide Haltungen die meinen sind, ist mir die letztere die nähere, und mein Bedauern verweist auf die Unfreiwilligkeit, die mancher Entscheidung zugrunde liegt eher als auf deren negative Folgen. Die Freiheit, mich entscheiden zu können, erlebe ich nicht als Möglichkeit, sondern vielmehr als "kleineres Übel" – und obwohl ich es so sehen kann, bleibt mein Gefühl davon unberührt…
… und nun zu einigen neuen Textfragmenten und Anfängen und Zwischenbemerkungen:
Der besseren Lesbarkeit halber die unteren Beiträge in der richtigen Reihenfolge, aber eben gegenläufig zum Datum geschrieben :)
13.03.2018
standbild, replay
der knappe raum auf den gipfeln bringt
meinen kobold ins taumeln. er fällt in die
niederungen meiner erinnerung zurück in
eine ebene ohne aufstieg und rast. glocken
blumen hell der widerschein fremder
inaugenscheinnahme, gegen das zuvor
stehen nicht kraut, nicht rüben und für hiernach
schweigt mein verwunschener see still über mir.
03.03.2018
Dieser Tag ist jung, so jung, dass der Himmel noch Stunden schwarz gegen die Straßenlaternen stehen wird, vor denen langsam die ersten Schneeflocken dieses Winters tanzen. Sie sammeln sich zu einer weichen Schicht am durchgefrorenen Boden und reflektieren, was von Beleuchtung und sich vorsichtig einen Weg bahnenden Wagen an Licht ausgeschickt wird.
Gegen Morgen schiebt ein Räumfahrzeug eine Spur in die kalte Decke, die sich gleichgültig über alles legt, die Wege, die geparkten Fahrzeuge, die Bäume und Hecken, die Zäune und die Gestalt auf jener Bank, die seit kurzem am Rand zum Bürgersteig aufgestellt, auf Besucher wartet – tagsüber kein einladender Platz, verkehrsumtost und ohne tröstende Aussicht, und an der ein Schild darauf verweist, dass nachts eine Beregnungsanlage den Sitz und das kärgliche Grün dahinter besprenkeln wird.
Neben der Bank steht ein schmaler Koffer, seine zwei Schlösser am oberen Rand leuchten auf im Scheinwerferlicht vorbeifahrender Wagen. Die Gestalt, ein Mann, trägt einen dunklen Mantel aus dünnem Stoff, der wenig Schutz gegen die niedrigen Temperaturen bieten kann, doch er regt sich nicht. Den Kopf gegen die Brust gedrückt, sitzt er zusammengesunken und reglos, als die ersten Pendler aus dem Umland eintreffen, die ihr Weg von der U-Bahn-Haltestelle zur Arbeitsstätte an den Versunkenen vorbeiführt, vom steten Flockenfall fast gänzlich eingehüllt.
Einige Schulkinder wundern sich, wie der Mann sich so ohne weiteres mit Schneebällen bewerfen lässt und da es ihnen ungewöhnlich erscheint, nicht angeschrien und gescholten zu werden, flitzen sie um die nächste Ecke, froh, davongekommen zu sein, und vergessen das Ereignis im Laufe ihres Schultags.
Als sie nachmittags auf dem Weg nachhause vorsichtig zur Bank schauen, ist sie leer. Ein Student, der im Winter für ein Schneeräumungsunternehmen arbeitet, hatte die Gestalt auf der Bank angesprochen, schließlich einen Rettungsdienst gerufen, der 20 Minuten später den Tod feststellte und den Mann – der Koffer stand nun nicht mehr neben ihm – zur Feststellung von Personalien und Todesursache in die Räume der Gerichtsmedizin bringen ließ. Es wird noch einige Zeit brauchen, bis der Schneefall die nun freie Stelle auf dem angegrautem Holz bedecken und jede Spur ins Weiße löschen wird.
02.03.2018
Sie weiß, es ist zu viel. Sie spürt es von Tag zu Tag deutlicher, die Fehler häufen sich. Unachtsamkeiten, kleine Ungeschicke. "Fokussiere dich auf eine Sache. Mache einen Schritt nach dem nächsten, einfach eines nach dem anderen. Frage nicht nach dem Ende" Doch sie will sich nicht mehr bewegen müssen, möchte ganz still sitzen und nichts soll geschehen, keine Erwartung, keine Aufgabe. Will auftanken, Kräfte sammeln, gesund werden, sich gesund fühlen. Und frei. "In diesem Leben nicht mehr", denkt sie und wischt sanft mit dem feuchten Tuch über den Mund der alten Frau, die längst vergessen hat, wer ihr diese Aufmerksamkeit schenkt.
26.02.2018
Früher hatte er entnervt im Auto den Radiosender gewechselt, wenn dieser einen Musiktitel mit Texten in seiner Muttersprache brachte und einen Sender gesucht, der internationale, meist englischsprachige Titel spielte. Die englische Sprache war ihm, anders als Französisch oder Italienisch, nie nahe gekommen. Stets fühlte er sich unwohl, wenn die Umstände ihn zwangen, seine lückenhaften Kenntnisse in stockende Worte zu fassen. Es gelang ihm über viele Berufsjahre, die Notwendigkeit einer Anwendung zu vermeiden, bis ihn ein Auftrag für einige Monate nach Australien brachte.
27.02.2018
Notgedrungen öffnete er sein Ohr und später auch seinen Geist für diese ihm einst so störrisch und unpoetische erschienene Sprache – nicht unbedingt dem australischen Alltagsdialekt, der blieb ihm bis zum Ende seines Aufenthaltes meist unverständlich und er selbst kam über einige eingefügte Vokale in seinen Adaptionsversuchen nie hinaus, aber das britische Englisch beherrschte er bald.
28.02.2018
Nun wieder in seinem Mutterland und ohne Notwendigkeit, die spät erworbenen Fertigkeiten anzuwenden, blieb ihm doch eines, von dem er nicht wusste, ob er es als Fluch oder Segen einschätzen solle: Einst hatte er sich jenseits des Titels oder des Refrains die Texte englischsprachiger Musiktitel wie eine Lautmalerei gemerkt – weitgehend als Silbenfolge und ohne den Sinn wahrzunehmen – nun konnte er dieses Zustand nicht mehr erreichen: Sein Gehirn transferierte Sinn wie Unsinn, Banales wie gelungen Poetisches gleichermaßen in sein Verstehen.
01.03.2018
Und obwohl er mitunter die Qualität einzelner Texte überraschend hoch fand, so, dass er aufmerkte ob der geschickten Umschreibungen, blieb doch das meiste klischeehafte Wiederholung standardisierter Phrasen. In diesem Punkt wünschte er sich seine frühere Ignoranz mit einer Heftigkeit zurück, die ihn selbst überraschte. Als sei ihm ein märchenhaftes Land genommen und durch eine alltägliche Umgebung ersetzt worden – weniger Glanz und Abenteuer, weniger Geheimnis und Verlockung und dafür ein mehr an Banalität und Wiederholung: Er wünschte sich sein Paradies zurück.