SdT – Zeit, die Regeln etwas zu lockern ;)

Auch in Südfrankreich kann es schneien....

 

Die Vorgaben für den Satz des Tages waren ohnehin nur locker gefasst, sie sollten nicht mehr als einen Rahmen bieten für eine Konstante im Schreiben… dieses Ziel wurde locker erreicht und die Benefits bleiben. Die Auszeiten, Umwege, Umdeutungen und das Nutzen eines Interpretationsspielraum zeigen, dass ein Rahmen flexibel sein darf, ja muss, wenn er auch dann Halt geben soll, wenn er in Frage gestellt wird. Letztendlich ist es eine gedankliche Setzung, die mit jedem Moment in der Zeit einen neuen Kontext und damit eine neue Interpretationsebene erhält. Es geht weiter und es entsteht neu, es bleiben Lücken und der Leser_in darf auch diese bemerken, füllen, ignorieren, begrüßen oder bedauern. 

 

25.02.2018

 Mithalten. Immer vorne dran. Gut informiert sein, sich auskennen, überall.

Er ist es so leid, stets aufmerksam sein zu müssen und auf der Hut vor denjenigen, die sich anschickten, seinen Platz einzunehmen, an ihm vorbeizuziehen: langjährige Weggefährten, Konkurrenten, neue Gesichter, junge.

Pakte, geschlossen, um nicht aussortiert zu werden, Allianzen, eingegangen, um andere aus dem Weg zu räumen – stets stärker sein, cleverer, den längeren Atem haben. Der ihm schon längst auszugehen droht, nicht erst abends, zuhause und müde, sondern auch bereits mitten am Tag, in den er nur schwer findet und während dessen Verlauf seine Gedanken sich von den Notwendigkeiten befreien und das Weite suchen, nur schwer wieder einzufangen und einzig, weil ihn die Alternative ängstigt, in einem Maße, dass sein Herz ins Stolpern gerät, die Knie zittern wie die Hände und er nicht länger sagen kann, was er stärker fürchten müsse – dass alles gleich weiterliefe oder dass es kein weiter so mehr geben könne.

 


24.02.2018

In mir ist eine umfassende Lustlosigkeit, ein mürrisches Ich regiert in meinen Morgen, Mittag und Abend und ich frage mich, warum ein Tag, der sich in nichts wesentlich von einem anderen unterscheidet, mir als solch eine Zumutung erscheinen kann, dass ich sein Enden herbeisehne, und das, obwohl nichts dafür spricht, dass der darauf folgende Tag besser oder wenigstens anders sei, und so verbringe ich meine Lebenszeit im Warten auf Besseres und am Ende wird es eben darum ein sinnloses Sein gewesen sein. 

Doch vielleicht ist morgen ja wirklich etwas anders.

 


22.02.2018

Was sie sah, als sie um die Ecke bog, lies sie in ihrem gleichförmigen Schritt innehalten. Eine sich bis zum sichtbaren Ende des Kais erstreckende Menschenmenge schob sich langsam ihr entgegen: Paare in mittlerem Alter, Jugendliche in Gruppen, Mütter mit Kinderwagen, Kleinkinder auf Rollern, Ältere eingehakt, stapften sie, die Gesichter nach Monaten trüben Winterhimmels in die ersten Sonnenstrahlen gestreckt, auf sie zu, um kurz vor ihr in einen breiten Boulevard einzubiegen, der zu den Attraktionen der Innenstadt führte. In dunkle Winterkleidung gehüllt und mit spiegelnden Gläsern ihrer Sonnenbrillen bewehrt, reihten sie sich in den Eingängen der Cafés auf, die die Promenade säumten, oder saßen auf Stühlen, Bänken oder Kaimauern wie Asseln unter einem Herbstblatt. Dieser Sonntag war kein guter Tag, am Flussufer entlang joggen zu wollen und sie wusste nicht, was sie mehr enttäuschte: Die so offensichtliche Ausrechenbarkeit der Stadtmenschen oder ihre eigene Naivität, dass dieser helle Tag nur für sie eine Einladung sein könnte, sich nach draußen zu begeben.

 


16.02.2018

Sie lebte in ihrer Zweizimmerwohnung seit der Besitzer die gröbsten Kriegsschäden an den Wänden ausgebessert, die verbrannten Fensterflügel aus Eiche durch einfach verglaste neue aus leichter Fichte ersetzt, einen Herd und einen Kohleofen in Küche und Wohnraum gestellt und die zum Heizen im ersten Nachkriegswinter verwendeten alten Holzstufen im schmalen Treppenhaus durch Bretter ersetzt hatte, die sich bald schon unter dem Gewicht der Tritte bogen. Hier hatte sie auf ihren Mann gewartet, zunächst noch mit Hoffnung, später, als Gustav sich als freundlicher Begleiter anbot, noch pro forma, hatte ihre Tochter bei ihrem Kampf um Leben und Gesundheit begleitet, unfähig, das kleine Wesen vor Hunger, Kälte, Masern, Röteln, Typhus und schließlich vor der Lungenentzündung schützen zu können, jeder Monat, jedes Jahr dem Leben abgerungen und dann doch verloren gegeben, hier hatte sie Gustavs Abschied mit ihren Freundinnen betrauert und ebenso das Wachstum der Stadt um sie herum – es brachte einen Wohlstand, der sie nun um ihr Zuhause bringen würde, Stück für Stück fielen die alten Bauten aus der Jahrhundertwende in die Hände von Erben und Baugesellschaften, in die von Handwerkern und Neubewohnern, so viel teuer nun, dass sie sich kaum die Küche hätte leisten können. Sie richtet ihren Blick auf das eine verbliebene Haus auf der anderen Straßenseite, das unrenoviert und mit allen Zeichen seines bald 300 Jahre alten Lebens von einer Gruppe Studenten bewohnt wurde, sah eine der jungen Frauen aus dem zweiten Stock, wie sie sich auf das Fensterbrett setzte, den Rücken gegen den weinrot gestrichenen Rahmen lehnte und ihr Gesicht, die Augen geschlossen, gegen die Sonne richtete. Über die Straßenschlucht wehte Musik, und Gelächter klang aus dem Hintergrund, umwehte die wenigen Kartons, die morgen mit ihr diese Wohnung verlassen würden, die wenigen Möbel, die Platz finden würden, dort, am Stadtrand und weit von den ihr verbliebenen Freundinnen entfernt, und mitnehmen und bewahren würde sie dieses Bild der jungen Frau vor ihren Augen, deren Genuss vollkommen schien und deren Zukunft, aller Voraussicht nach, deutlich länger bemessen sein würde als die ihre. Sie hätte gerne mit ihr getauscht und sei es nur, um noch einmal sich vor dieser Zukunft fürchten zu dürfen, ein Zeichen von Leben, ein Zeichen, dass das Morgen Bedeutung haben wird.

 


14.02.2018

Ihre Hände greifen nach dem Visier, richten den Sitz, nur noch wenige Sekunden und ihre Miene zeigt die Anspannung, die Aufregung und die Angst, es könne misslingen, was so gut begonnen hatte, die Furcht, mit einem Fehler alles zu ruinieren, so nah vor dem Ziel, so kurz vor dem Erfolg, sich selbst ein Bein zu stellen und alles wäre dahin, ihre Mühen vergebens, die Zumutungen an ihren Körper, die Einschränkungen in ihrem Leben, alles aufgehoben in diesem einen Moment, in diesem leichten Beben der Lippen, dem kurzen Zucken eines Augenlids und dem nach innen gekehrten Blick.

 


13.02.2018

Sich im Kreise bewegend, erscheinen ihr die regelmäßig aufscheinenden Stellen von Reibung und Konflikt in ihrem Sein ebenso zugleich Trost und Halt, wie sie sie als Marker von Niederlage und Unfähigkeit liest, so sehr, dass sie alles belässt, ohne Änderung, ohne Ende.