Vom Glück der Mühe – Lust und Lotto

zu Glück <----

 

"Geschätzte 90.000 deutsche Neuerscheinungen werden in diesem Jahr auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt. Wer soll die alle lesen? 1.800 Nachrichten gehen täglich in Deutschland über die Ticker und werden von über 300 verschiedenen Tageszeitungen abgedruckt. Wer soll das alles durchblättern? 15 öffentlich-rechtliche Fernsehsender, fast ebenso viele namhafte private TV-Sender und unzählige, die noch gar keinen Namen haben, strahlen 24 Stunden am Tag Fernsehprogramm aus. Wer soll das alles gucken? 6 bis 8 Milliarden Internetseiten gibt es im Word Wide Web. Wer soll die alle anklicken?
Niemand."

 

 

So beginnt der Promotext zu Hektor Haarkötters Buch "Abschalten" auf seinem Blog www.antimedien.de. Hektor Haarkötter – ein Name, der so ausgedacht erscheint, dass er vermutlich dann doch wieder real ist ;)


Die Zahlen sind nicht aktuell, sie waren es wahrscheinlich schon nicht mehr beim Erscheinen des Buches 2007.
Sie dienen mir auch nur als Aufhänger für diesen Text. Seit ich diese Seite hier eingerichtet habe und sie zu füllen gedenke, frage ich mich hin und wieder, welche Motive mich leiten. Vielerlei Erklärungsmodelle sind denkbar.

Das Einrichten eines virtuellen Vermächtnisses, die Behebung eines Mangels an Sichtbarkeit (setzt allerdings Gesehenwerden voraus), das Setzen eines Disziplinierungsanreizes fürs Schreiben über eine extrinsische Motivation…?

Einige Motive werden mit der Aktivität selbst abgegolten, andere setzen neben den eigenen, Handlungen und Reaktionen von Dritten voraus. Und über die abrufbaren Statistiken für "charly-steiger-schreibt" drängt sich die Frage nach dem Sichtbarwerden ebenso auf wie die alte Frage danach, ob etwas existiert, wenn keine Seele, kein Geist, kein Auge es erfasst. Also niemand hier liest (überspitzt formuliert)? Wann beginnt Veröffentlichen? Wenn die Möglichkeit besteht, dass eine Öffentlichkeit Zugriff hat, oder erst dann, wenn sie davon auch Gebrauch macht?

Befinde ich mich also mit meinem Schreiben hier in einer selbst verursachten Selbstbestätigungsschlaufe, die nicht nur hermetisch ist, sich also selbst frisst, generiert, nährt und benutzt, sondern sich auch gegen mich und meine Motive wendet? Und das Ganze auf jene ausgerichtet, die der Zufall hierher bringt? Wie viele Menschen möchte ich hierher einladen?

Denn eines weiß ich sicher: Den üblichen Ratschlägen zu "Wie finde ich Follower?" möchte ich nicht folgen. Mag nicht Seiten suchen und Kommentare setzen. Mag nicht nach Backlinks fischen und nicht "likes" hamstern, mag nicht rebloggen und Ähnliches, das sicher Aufmerksamkeit generiert. Es geht mir nicht darum, die Social Media Dienste zu füttern, ich mag Facebook nicht (die Gründe tun hier nichts zur Sache) und kann mich auch nicht für Twitter oder Tumblr begeistern.

Doch was ich hier tue ist, – übersetzt in den Bereich der Bildenden Kunst – einen Schaukasten im Vorgarten zu platzieren. Läge dieser Vorgarten auf der Zeil, an der Kö, an den Hackeschen Höfen, der Tauentzien oder der Kaufinger Straße, könnte ich darauf hoffen, dass aus dem Strom der Passanten einige einen Blick auf meine Auslage verschwenden und davon vielleicht wieder einige durch das Wahrnehmen der Inhalte eine Bereicherung erfahren. Doch mein Schaukasten liegt abseits, in einer sehr kurzen, schmalen Gasse, die selten und nur von Eingeweihten begangen wird.

Und ich, ich weigere mich sozusagen, ausreichend Hinweisschilder und Wegweiser aufzustellen. Seltsam. Ist denn derjenige, der zufällig an diesen Ort gerät, bedeutungsvoller als andere, die auf meine Werbemaßnahmen eingehen? Bei genauer Introspektion wird deutlich: Nein, das ist es nicht, was mich davon abhält.

Scheue ich etwa die Mühen? Das möchte ich nicht ganz von der Hand weisen, woraufhin aber der Begriff Mühe definiert werden müsste. Als zutreffend auf alle Handlungen, die zunächst in der Projektion ein Unlustgefühl generieren und in der Durchführung Zeit und Kraft kosten.

Seltsamerweise fällt der letztgenannte Punkt überhaupt nicht ins Gewicht, wenn ich dem Tun eine originäre Sinnhaftigkeit und genuine Freude zuschreiben kann – es also mit Lust besetze. Was zurückführt zur Ausgangsfrage: Warum betreibe ich diese Seite? Was macht daran Lust, was wird Mühe und wie gehe ich damit um?

Und so lerne ich mich in der Reflexion kennen. Und verstehe vielleicht ein Stück mehr die Welt, die gefüllt ist mit 90.000 Neuerscheinungen pro Jahr an Büchern und 6 bis 8 Milliarden Internetseiten. Diese Zahl der Internetseiten müsste man noch auf die deutschsprachigen Websites eindampfen (laut Denic etwa 16 Millionen mit der Endung .de, dazu kommen Schweizer und österreichische Seiten) und mit etwas Glück sind meine Chancen, andere für meine Texte zu interessieren in etwa so hoch wie ein Lottogewinn. Na also;)

"Besonders in der schöpferschen Arbeit wir eine eindrucksvolle Grenze überschritten, die ich als die Übergangsstelle zum noch nicht Bewußten bezeichne. Mühe, Dunkel, krachendes Eis, Meerestille und glückliche Fahrt liegen um diese Stelle. An ihr hebt sich, bei gelingendem Durchbruch, das Land, wo noch niemand war, ja das selber noch niemals war. Das den Menschen braucht, Wanderer, Kompass, Tiefe im Land zugleich." Bloch, Über Eigenes selber, S.2

auch: Otto Böhmer


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