1. Feststellung:
Es ist nicht leicht, über Zweifel und Fehler zu schreiben. Die Definition ist zu weit gefasst für einen kurzen Artikel.
Bücher wurden darüber geschrieben. Philosophische, psychologische.
2. Feststellung:
Ich möchte nicht in die Tiefen der Begriffsklärung eintauchen, aber es ist unumgänglich, will ich zum eigentlichen Kern
dieses Beitrags gelangen.
Daher möchte ich diese Seite als Referenzrahmen bestimmen:
*Menschlicher Fehler
--->
und zugleich eingrenzen:
Der nachfolgende Textbeitrag thematisiert eher die kleinen Fehler des Alltags, die nicht notwendigerweise Andere gefährden
oder als das absolute Verfehlen einer sozialen Norm verstanden werden. Ich spreche im folgenden Text von den Momenten im Leben, an denen offensichtlich wird, das das eingetretene Ereignis nicht
dem vermuteten Resultat einer Handlung entspricht oder aber dass diese Handlung auf eine Art interne oder externe Missbilligung trifft.
Menschliche Fehler sind Symptome von tieferliegenden Fehlern im System. Um Versagen zu erklären, sollte man nicht nur danach suchen, wo Menschen Fehler gemacht haben. Man muss auch danach suchen, warum die Einschätzungen und Handlungen von Menschen in der gegebenen Situation Sinn zu ergeben schienen.
Fehler*, Kritik, Zweifel – Begriffe, die wir nicht gerne auf uns beziehen. Möchten wir nicht erleben.
Wer sagt schon "ich habe diesen wundervollen Fehler gemacht und dann…"?
Und doch sind Zweifel, Kritik und Fehler Ereignisse, die uns beschäftigen, berühren. Oft stärker als Lob und Erfolg dies vermögen. Dies gilt für einige von uns – wie immer kann ein Text wie
dieser nur eine Annäherung versuchen.
Fehler, Zweifel.
Einige deuten um. Dann ist ein Fehler keiner mehr. Oder ohne Belang. Die Kritik entbehre sachlichen Grundlagen. Zweifel werden sublimiert. Wo ich nicht hinsehe, ist auch nichts.
Doch dieses Nichts scheint bedrohlich zu sein. Erschüttert. Etwas. In uns.
Woher nimmt der Fehler, der Zweifel diese Kraft?
Kritik. Tadel.
Als wäre das Bild, das wir von uns haben, eines, das sich den Reflexionen von Außen unterwirft. Und dafür muss Tadel vermieden werden. Sonst muss die Differenz zwischen Selbstbild und externer
Zuschreibung bearbeitet oder ausgehalten werden. Als wüssten wir nicht, wie/wer wir sind.
Spätestens in der Lebensmitte wissen wir doch recht genau um unsere Grenzen – begnadete Menschen vielleicht früher, allzu behütete etwas später.
Wir haben uns ausprobiert, um diese Grenzen zu erfahren. Und positive Erfahrungen gemacht. Bis, ja, bis wir die Grenzen erreicht haben, zumindest die vorläufigen. (Nix ist fix, das gilt auch für
die Ausbildung von Persönlichkeit, wenn auch in einem bedauerlich bescheidenen Rahmen.) Wir können es später noch einmal probieren. Oder einen Weg suchen, der zu uns passt. Strategien gibt es
einige.
Andererseits: Niemand kennt sich so ganz. Das ist spannend und treibt uns. Dennoch und rekursiv: Wir kennen wesentliche Eigenarten, Charakterzüge und Fähigkeiten an uns recht genau.
Wir wissen, wir sind eher ordentlich, eher neurotisch, eher dissoziativ, eher temperamentvoll, neigen zu Vergesslichkeit in Wichtigem, zu Trash-Kultur in unbeobachteten Momenten oder können
einfach bestimmten Verhältnissen nichts abgewinnen. Wir wissen, wir haben mit 14 Jahren die Physikarbeit verhauen und mit 21 den Text zur Seminararbeit zusammengeschustert, ohne zu wissen, wovon
wir schreiben. Wir haben unsere Eltern, Partner, Kollegen (das Passende bitte ergänzen) belogen, und unsere Motive waren Egoismus, Feigheit, Mitgefühl oder anderer Natur. Wir haben aber auch die
Kaffeemaschine repariert, einem Freund aus einer Notlage geholfen, einem Menschen einen Glücksmoment beschert oder einen ganz wunderbaren Essay geschrieben.
Diese Lektionen mit uns selbst setzen sich als ein Erfahrungskonvolut in unserem Persönlichkeitsspeicher ab, auch wenn der Zugriff darauf kein direkter sein kann. Was also hindert uns daran,
Fehlerfeststellungen – kommen sie von innen oder außen – entspannt zu begegnen? Zu denken und zu sagen und zu fühlen: "Ja, es ist bedauerlich, dieses oder jenes ist mir nicht gelungen – aber mir
eignen immer noch die gleichen Eigenschaften wie zuvor! Ich bin immer noch ich." **
Psyche bzw. Psyché (altgr. ψυχή psyché ‚Atem‘, ‚Leben‘, ‚Seele‘, ‚Bewusstsein‘, ‚Gemüt‘, ‚Trieb‘, aufgrund mythologischer Vorstellungen auch ‚Schmetterling‘) steht für den Ort menschlichen Fühlens und Denkens
**Noch einmal zur Verdeutlichung: Ich schreibe nicht von jenen Handlungen,
die in ihrer Konsequenz tief in die Persönlichkeit eingreifen und die eigene Psyche
oder die Anderer traumatisieren – und selbst diese Fehler sind mitunter nur
Konsequenz und in situ unvermeidbar, wenn auch für alle Beteiligten dramatisch.
Ist es die Fantasie, dass wir uns anders imaginiert haben als die Realität uns zeigt? Oder ist es, dass wir nicht wissen, ob die Welt uns mit Fehlern akzeptiert, respektiert, mag, bewundert,
liebt? Ist es, dass wir Bildern von uns folgen, die wir gar nicht selbst entworfen haben? Und nun fürchten, diese Abweichung würde gegen uns gewendet? Würde uns ausschließen – von uns selbst, von
anderen, von Glück?
Wahrscheinlich: So viele Antworten wie Individuen. Möglich: Eines davon trifft auf mich, dich, euch zu. Kaum zu glauben: Menschen, die gar nicht verstehen, was Fehler sind. Glücklich diese.
Entweder über Verdrängung, Umdeutung, Realitätsverlust oder philosophische Erhabenheit, einer Art spiritueller Erleuchtung, die den meisten nicht eignet.
Mir ebenfalls nicht. Ich frage mich bei jedem Beitrag, ob er sich als Fehler herausstellen mag. Ob ich "mein Gesicht verliere", weil ihr mein wahres Gesicht – aha! jetzt! endlich! – entdeckt. In
diesem Beitrag. Vielleicht im letzten Beitrag. Oder dem davor. Und dann eure Haltung ändert. Alles bisherige zu einem Irrtum erklärt, zu einem Fehler, einem Versehen, aufgeklärt zu guter
Letzt.
Aber geht es nicht gerade darum? Ein Gesicht zu zeigen, so, wie es ist? Damit andere herauslesen können, was sie zu lesen vermögen?
Kommentar schreiben